Alle Jahre wieder
Warum das Reförmchen der Bundesjugendspiele mehr als überfällig und die Kritik daran einfach nur absurd ist.
Immer wenn ich darüber nachdenke, warum ich so wenig Freude an Sport habe und mich so unsportlich fühle, kommt mir unweigerlich diese eine Szene aus meiner Grundschulzeit in den Sinn: Die Mutter einer Mitschülerin hatte uns zu unseren ersten Bundesjugendspielen begleitet und wohl die Übersicht über alle Ergebnisse, Punkte und Urkunden. Auf der Rückfahrt vom Sportplatz fragten einige Kinder sie, wie es denn bei ihnen aussähe. Alle schienen mindestens eine Siegerurkunde zu bekommen. Bis ich fragte. Denn ich sollte an diesem Tag - und bei allen weiteren Bundesjugendspielen meines Schülerinnnenlebens - leer ausgehen. Bei uns gab es nämlich nicht einmal die berüchtigten Teilnahmeurkunden. Balsam für die Kinderseele, wie ihr euch vorstellen könnt.
Dabei war ich damals eigentlich ganz bewegungsfreudig, war viel draußen unterwegs und recht erfolgreich im Judo. Dennoch war ich spätestens in der dritten Klasse, als ich nicht über den Bock kam, davon überzeugt, dass ich einfach (und irreversibel) unsportlich bin. Ausdauer und Judo-Siege gehörten nämlich nicht zu dem, was im Sportunterricht und bei den Bundesjugendspielen etwas wert war. Da kam (und kommt) es nämlich darauf an, schnell zu sein, weit werfen und springen zu können - und ganz generell Werte zu erreichen, die in irgendwelchen Tabellen möglichst weit vorne stehen.
Nun sollen die Bundesjugendspiele nach Jahren (Jahrzehnten?) also das erste Mal ein wenig reformiert werden: In der Grundschule soll plötzlich nicht mehr die Leistung sondern die Bewegung im Vordergrund stehen. Anscheinend soll das Teamerlebnis und -ergebnis im Vordergrund stehen. Das Maßband hat ausgedient, liest man. Jetzt gibt es Zonen, für die es dann Punkte gibt, die man für sein Team (oder seine Klasse) sammelt. Nur von den Urkunden will man sich dann wohl doch nicht verabschieden, auch wenn der Maßstab (Zonen statt Punkte) sich ein wenig ändert. Es ist also mehr ein Reförmchen als eine tatsächliche Reform.
Als Schulsport- und Bundesjugendspiel-Geschädigte begrüße ich aber wirklich alles, das diese absolute Qual für alle Kinder, die nicht schnell rennen oder weit werfen können, etwas abmildert. Nur weit genug geht mir das alles nicht. Interessanterweise ist das aber nicht die Kritik, über die in den Medien berichtet wird. Im Gegenteil: Es wird kritisiert, dass überhaupt etwas an dem (für die Kritiker anscheinend gut laufenden) System verändert wird. Die einen haben nun Angst um die sportlichen, sonst aber eher wenig erfolgreichen Schüler*innen, für die die Bundesjugendspiele bisher der eine Tag im Jahr war, an dem sie den Brillenschlangen und Nerds endlich mal zeigen dürfen, dass sie auch etwas können. Ein Argument, das so hohl ist, dass ich mir hier nicht die Mühe machen möchte, es zu entkräften. Außer, dass es eigentlich beweist, wie kaputt unser Schulsystem ist - aber das ist echt eine ganz andere Geschichte.
Es gibt aber auch Kritiker*innen, die zumindest vordergründig etwas rationaler auftreten als die, die wirken als hätten sie irgendein Schultrauma nicht ganz verarbeitet. Wobei, rationaler ist so eine Sache. Glaubt man nämlich Kritiker*innen wie der Berliner Bildungssenatorin, ist unsere Jugend in Gefahr: “Wir tun unseren Kindern keinen Gefallen, wenn wir so tun, als ob sich messen und Leistung nichts mit dem Leben zu tun hätten”, wird sie zitiert. Ehrliche Frage: Wer tut denn so, als ob das so wäre? Das Gegenteil ist doch jetzt der Fall: Durch die Teamwettbewerbe, die in der Grundschule nun empfohlen werden, wird ja erstmalig überhaupt erst die Möglichkeit gegeben, sich (mit anderen, in diesem Fall Teams) zu messen. Bisher musste man nur gegen irgendwelche Richtwerte kämpfen. Richtwerte, die irgendwer in irgendwelchen Kategorien mal als altersgemäß festgelegt hatte. Endgegner “Tabelle” sozusagen (story of my Schulsport-Life). Aber gut, wollen wir mal nicht kleinlich sein - ist die Dame schließlich auch nicht, wenn sie quasi das Ende der Leistungsgesellschaft heraufbeschwört. Als wären die Bundesjugendspiele die einzige Gelegenheit, bei der Kinder mit dem Leistungsgedanken in Berührung kämen. Als gäbe es keine anderen Kontexte, in denen Leistung wichtig wäre, wie zum Beispiel … ähm, sagen wir mal: Schule!? Sollte man als Bildungssenatorin eigentlich wissen, dass der Leistungsgedanken nicht mit einer vorsichtigen Reform der Bundesjugendspiele zu Grabe getragen wird, aber lassen wir es an dieser Stelle einfach mal gut sein.
Mein größtes Problem auch mit dieser Version der Bundesjugendspiele ist nämlich, dass durch sie die Freude an Bewegung, die wir in unserer Gesellschaft, in der immer mehr Menschen ihr (Arbeits-)Leben hauptsächlich sitzend verbringen, unbedingt vermitteln müssen, eben immer noch nicht vermittelt wird. Bewegung wird erst einmal limitiert auf wenige Disziplinen, was an sich schon absurd ist. Aufgrund des engen Fokus kann Kindern gar nicht “Freude an Bewegung” vermittelt werden. Nicht zuletzt übrigens, weil der Tag selbst aus ziemlich viel Rumsitzen und Warten besteht. Und natürlich weil ein Tag allein wohl kaum dazu führen wird, dass aus Couch Potato Kids plötzlich Superathlet*innen werden. Dabei sollte es doch die Aufgabe von Sport im Schulkontext sein, Kindern zu zeigen, wie man sich bewegen kann, warum das gut ist und gut tut, wie man trainiert, sich verbessert, sich durchbeißt… Doch so lange Bewegung immer noch bewertet und dabei immer noch der gleiche Maßstab an alle Körper angelegt wird, wird das wohl nichts werden mit der Vermittlung von “Freude an Bewegung”. Da helfen leider auch Teamwettbewerbe und Zonen statt Zahlen in der Grundschule nicht.
Was waren eure Erfahrungen mit den Bundesjugendspielen? Erzählt doch mal!