Ich gebe es zu. Es ist tatsächlich wahr. Ich habe vormittags ziemlich oft recht. Das liegt meistens daran, dass ich diejenige bin, die jüngeren Menschen erklärt, wie irgendetwas richtig geht, englische Grammatik zum Beispiel. Rechtzuhaben gehört zum Lehrer*innenberuf zwar nicht in der Absolutheit dazu, wie das der abgedroschene Spruch aus der Überschrift suggeriert, aber in gewisser Weise hat man das dank Berufsbeschreibung und damit einhergehender Machtposition dennoch quasi automatisch. Was ich allerdings nicht habe - und das tatsächlich in absoluter Absolutheit - ist nachmittags frei.
Ich habe diesen Text hier in einer “5-Nachmittage-Woche” begonnen, in der ich tatsächlich keinen einzigen freien Nachmittag hatte. Jetzt haben das andere Menschen mit einem Vollzeitjob auch nicht, aber so meine ich das nicht. Ich arbeite so oder so jeden Nachmittag: Korrekturen, Vorbereitungen, Organisatorisches, Kommunikation etc. - irgendetwas ist immer zu tun. In einer “5-Nachmittage-Woche” habe ich aber zusätzlich noch anderweitige Verpflichtungen an meinen zwei unterrichtsfreien Nachmittagen: Konferenzen, Arbeitsgruppen-Treffen, Fortbildungen, schulische Veranstaltungen… Das kostet Zeit, die mir dann für all das was “immer zu tun” ist, fehlt.
Das bedeutet für mich dann zusätzliche Arbeit nach dem Abendessen oder am Wochenende. Letzteres habe ich sowieso nie ganz frei; mehrere Stunden mal auf einen oder beide Tage verteilt arbeite ich auf alle Fälle so gut wie immer. Vielleicht verdeutlicht das, warum viele Lehrkräfte so wie ich quasi auf allen Vieren in die Ferien kriechen, und warum wir diese Ferien auch dringend brauchen. Doch ich nutze die Ferien nicht nur zur Erholung, sondern meistens auch dazu, um aufzuholen, was liegen geblieben ist, und um vorzuarbeiten für das, was noch kommt.
Vollzeit ist in unserem Beruf meistens deutlich mehr als 40 Stunden, selbst wenn man die Ferien berücksichtigt. Deswegen reduzieren die meisten Lehrkräfte irgendwann auch irgendwie ihre Stunden, sei es durch Teilzeit oder durch Zusatzaufgaben, die in irgendeiner Form mit Deputatsreduktion einhergehen. Da arbeitet man zwar nicht unbedingt weniger, aber die Korrekturen, die Vorbereitungen, die Konferenzen und all das, was man so aus dem Unterricht mitnehmen könnte, fallen für die Stunden weg.
“Was man so aus dem Unterricht mitnehmen könnte” ist übrigens auch ein Grund dafür, warum Lehrkräfte nachmittags nicht frei haben. Ich kann äußerst selten mit dem Verlassen des Klassenraumes mit der Stunde abschließen. Da sind kleinere organisatorische Dinge, an die man denken muss, und größere Dinge, an die man nicht aufhören kann zu denken. Ich gehe oft aus dem Unterricht und muss noch vergessenes Material und kreatives Verhalten im Klassenbuch nachtragen, Eltern anrufen, Kolleg*innen in Kenntnis setzen, kranke Schüler*innen über die Aufgaben informieren usw. Aber ich gehe auch oft aus dem Unterricht und analysiere, warum gewisse kreative Verhaltensweisen aufkamen, ob ich richtig darauf reagiert habe, was ich hätte besser machen können. Lehrerin ist ein emotionaler und emotional belastender Job und das alles zu verarbeiten braucht Zeit. Zeit, in der man sich nicht auf Korrekturen und Vorbereitungen stürzen kann. Zeit, in der man manchmal nicht einmal so etwas Banales wie Einkäufe erledigen kann. Wie oft habe ich schon die Hälfte vergessen, weil ich mit dem Kopf in der Schule war…
So, und wer sich jetzt fragt, wann ich eigentlich neben Vollzeit in der Schule und dem bisschen Haushalt und Alltag noch Zeit für mich habe… Nun ja, sagen wir es so: Es gibt einen Grund, warum ich in keinem Verein mehr bin, in keinem Orchester mehr spiele, warum ich diesen Substack hier als “kleines Projekt” bezeichne und nicht als mein “Hobby”. Es gehört zu meinem Berufsrisiko als Vollzeit-Lehrerin, dass je nach Woche und je nach Schultag nicht genügend Zeit bleibt für Freizeitaktivitäten, für Dinge, die ich brauche, damit es mir gut geht. Das liegt auch daran, dass - entgegen der landläufigen Meinung - unser Beruf jede Woche und jeden Tag anders ist. Man kann planen, sich Zeit freihalten oder ein dickeres Fell zulägen, Prioritäten setzen usw., aber das ändert tatsächlich nichts an der Tatsache, dass man nicht immer (und leider auch nicht oft) auch nur annähernd so viel Freizeit hat, wie andere Menschen das gerne glauben. Vormittags recht - durchaus. Nachmittags frei - wohl kaum.